Was du an der Kasse im Supermarkt fürs Klettern lernen kannst

Kennst du die Situation… du hast es eilig, bist schon viel zu spät dran… möchtest noch schnell eine Kleinigkeit essen und ausgerechnet jetzt… vor dir eine lange Schlange an der Supermarktkasse. Du ärgerst dich schon beim Anstellen und plötzlich merkst du, wie die Kundin, die gerade an der Reihe ist, gemütlich mit der Kassierin plaudert. Als Krönung kommt sie beim Bezahlen auch noch drauf, dass sie kein Geld in der Tasche hat…

Und was ist mit dir? Wirst du unruhig? Ärgerst du dich? Fühlst du dich gestresst? Wirst du innerlich aggressiv?

Dann bist du in diesem Moment in der assoziierten Wahrnehmung gefangen – jener Art eine Situation zu betrachten, bei der du in deinen Emotionen voll und ganz aufgehst. 

Beim Klettern könnte diese Art der Wahrnehmung so aussehen – vielleicht kommt dir die Situation ja bekannt vor:

Situation 1:

Am Einstieg kletterst du voller Freude los, bist zuversichtlich, dass die Route diesmal klappt, du genießt die Bewegungen und freust dich, dass sich die Züge heute sehr leicht anfühlen...je näher die Schlüsselstelle kommt, umso mulmiger wird das Gefühl. Wie ging der Schlüsselzug nochmal? Verdammt, wo ist jetzt der nächste Griff? Das schaffe ich nie... was wenn ich jetzt stürze? Ein Kontrollblick, ob der Sicherer eh noch da ist… "Hast mich eh?"… Vor lauter Tunnelblick hast du keine Idee, wie der nächste Zug gehen könnte… du bist vollkommen blockiert…. Angst überkommt dich…und du ergreifst die Flucht… du kletterst zurück, nimmst andersfarbige Griffe oder benutzt die Expressschlinge als Griff…egal welche Variante deine ist - der Durchstieg ist jedenfalls verschenkt 🙁

Sobald eine Situation für dich emotional belastend wird –  wie bei der Angst vor einem Sturz – hast du keine Möglichkeit mehr, die Situation objektiv zu betrachten. Dein Körper reagiert mit Stresssymptomen wie hektischer Atmung und zittrigen Händen. Vorausschauendes Planen ist überhaupt nicht mehr möglich – vielleicht kennst du den Tunnelblick, durch den du plötzlich Tritte oder Griffe übersiehst. Vielleicht beginnst du auch hektisch herumzuschnappen – auf der verzweifelten Suche nach einem Griff, den du halten kannst.

Zum Glück haben wir die Möglichkeit, ganz bewusst aus der assoziierten Wahrnehmung heraus in die Vogelperspektive – die dissoziierte Wahrnehmung zu wechseln.

Dieses Wissen können wir uns besonders in stressigen Situationen zu Nutze machen, um die Situation mit etwas Abstand zu betrachten. Die Situation an der Schlüsselstelle könnte dann so ablaufen:

Situation 2:

Am Einstieg kletterst du voller Freude los, bist zuversichtlich, dass die Route diesmal klappt, du genießt die Bewegungen und freust dich, dass sich die Züge heute sehr leicht anfühlen...je näher die Schlüsselstelle kommt, umso mulmiger wird das Gefühl. Du wechselst die Perspektive und beobachtest dich aus etwas Entfernung. Du siehst, dass der letzte Haken nur knapp unterhalb deiner Hüfte ist und für die nächste gute Klinkposition nur noch ein beherzter Aufsteher fehlt. Du siehst wo der nächste Griff ist, leitest dich selbst an: Gewicht nach links verschieben... aufstehen... weitergreifen... stabilisieren… klinken… durchatmen. Du bist stolz und freust dich, dass die schwerste Stelle geschafft ist 🙂

Aus der Vogelperspektive die Situation objektiv betrachten

alpine-chough-977961_640Aus der Vogelperspektive betrachtest du die Situation mit Abstand. Es ist als würdest du einen Film auf der Kinoleinwand sehen, in dem du dich klettern siehst. Du bekommst Abstand zum Geschehen und deine Emotionen sind weniger präsent. Du kannst die Situation objektiv betrachten und hast einen klaren Blick für die Konsequenzen.

Besonders in Stresssituationen ist es hilfreich, die Situation mit etwas Abstand zu betrachten, damit klares Denken wieder möglich wird.

Warum der bewusste Wechsel der Wahrnehmung so wichtig ist

Stell dir vor, du würdest alle deine Kletterrouten nur aus der Vogelperspektive erleben und deine Emotionen komplett ausblenden. Wahrscheinlich würdest du binnen kürzester Zeit die Freude am Klettern verlieren. Daher ist es wichtig, dass du je nachdem wie die Situation gerade ist, ganz bewusst in die ideale Wahrnehmung wechselst. Beim Klettern in einer Genuss-Route möchtest du das Klettern bestimmt mit allen Sinnen genießen, die Situation emotional voll auskosten und damit die Grundlage für den Flow legen.

„Die Art wie wir das Problem sehen ist das Problem“ – Steven Covey

Sobald du in einer Kletterroute  zur Schlüsselstelle kommst und erste Anzeichen von Stress spürst, kannst du die belastenden Emotionen mit dem Wechsel in die Vogelperspektive in Schach halten. Sobald du die Stresssituation gemeistert hast, bist du wieder ganz bei dir und genießt das Klettern in vollen Zügen.

Wie du mit 4 einfachen Schritten den bewussten Wahrnehmungswechsel anwenden kannst

  • Schritt 1: Such dir zunächst eine Situation im Alltag, in der du dich schnell gestresst fühlst. Die Situation sollte für den ersten Versuch nichts mit dem Klettern zu tun haben. Vielleicht eignet sich die Vorstellung der Supermarktkasse für dich. Du kannst natürlich jede beliebige Situation wählen.
  • Schritt 2: Versetz dich gedanklich in die Situation hinein. Nimm wahr, wie sehr dich die Situation aufregt… wie sich der Stress anfühlt… wie dein Körper auf den Stress reagiert.
  • Schritt 3: Stell dir jetzt vor, du beobachtest diese Situation aus der Vogelperspektive. Von ganz weit weg blickst du hinunter auf dich und die Situation. Was hat sich verändert?
  • Schritt 4: Freu dich auf den nächsten Besuch im Supermarkt. Wenn du dich an der Kasse anstellen musst und dich darüber auch noch ärgerst, ist der perfekte Moment gekommen, den Wechsel in die Vogelperspektive auszuprobieren.

Sobald dir der Wahrnehmungswechsel im Alltag gut gelingt, kannst du ihn auch beim Klettern anwenden und dich an der Schlüsselstelle aus der Vogelperspektive beobachten. Damit kannst du die Situation objektiv betrachten und den nächsten Zug voller Überzeugung angehen.

Viel Spaß beim Ausprobieren und alles Liebe,

Unterschrift_blau

PS: Hat dich der Artikel weitergebracht? Dann erzähl anderen auch davon!

 

Trag dich ein und versäume keinen meiner Klettertipps

1 Kommentar

  • Avatar

    Stefanie

    Antworten Antworten 9. Dezember 2015

    Hi Verena,

    schöner Artikel! Dem stimm ich voll zu, wenn die Emotionen hochgehen, geht die Intelligenz runter. Das mit der Vogelperspektive ist ein hilfreicher Weg, um sich zu entfernen. Mit viel Übung klappt es dann auch im Ernstfall. Deswegen ist es so wichtig, den Körper und Kopf darauf vorzubereiten.

    Viele Grüße!
    Stefanie

Lass uns deine Gedanken zum Thema wissen

* Pflichtfeld